Blickpunkt
VOM TROST
Ausgabe 24 – Dezember 2024 | Januar | Februar | März 2025
Übers Trösten und Getröstet-Werden
Unser Freund Willi ist gestorben, völlig unerwartet. Vor unserem Urlaub haben wir ihn noch im Fitness-Studio getroffen, gut gelaunt und gesund wirkend. Kurz nach unserem Urlaub erreicht uns die Nachricht von seinem Tod. Wir sind erschüttert. So früh, so schnell steht auf der Trauerkarte und genauso empfinden wir es auch.
In den Tagen vor der Beerdigung sprechen eine Freundin und ich immer wieder über Willis Tod. Einmal schreibt sie mir: „Dass du da bist, ist hilfreich und tröstend…“ Das hat mir gut getan und hätte auch von mir an sie gerichtet sein können.
Meine Freundin und ich können uns gegenseitig trösten. Wir tauschen uns aus, wir beschreiben unsere Gedanken. Wir wissen, dass uns gerade etwas widerfährt, was nicht aufzuhalten oder rückgängig zu machen ist. Indem wir uns über das Unabänderliche verständigen, sind wir nicht allein in unserem Unglück. Wir können es nicht abändern, nicht abkürzen. Aber gemeinsam durchstehen. So ist es eher auszuhalten.
Unwirksamer und wirksamer Trost
Der Vorgang des Tröstens hat seltsamerweise ein leicht ins Negative kippendes Image. Schnell fallen einem „Trostpflaster“, „Trostpreis“, „falscher Trost“ und „das Vertrösten“ ein. Missglückte Trostversuche sind auf Trauerkarten zahlreich zu finden:
„Gute Menschen sind wie Sterne, sie leuchten noch lange nach ihrem Erlöschen.“ – „Wenn die Sonne des Lebens untergeht, leuchten die Sterne der Erinnerung.“ – „Dunkel ist es nun um dich, von Stund an tragen wir dein Licht.“
Alles gut gemeint, aber in der Wirkung nicht trostreich, sondern unfreiwillig komisch. Warum erzielen solche Sätze eher Heiterkeitserfolge als dass sie Trost spenden?
Weil sie Schweres auf die leichte Schulter nehmen, weil sie mehr das Bedürfnis des Tröstenden bedienen („Hör endlich auf, traurig zu sein“) als das Bedürfnis des Trauernden, in seinem Kummer wahrgenommen und ernst genommen zu werden. So klingt „billiger Trost“.
Wie aber klingt wirksamer Trost? Wann und wie ist Trost erwünscht und erlaubt?
Was trösten kann, ist eher im Spüren als im Wissen erfahrbar. Deshalb weiß weder der Trostsucher noch der Trostspender, was Halt geben kann. Im besten Fall kommen sie im Gespräch über das Vorgefallene der Sache näher.
Menschen kennen beide Rollen: die, trostbedürftig zu sein, und die, Trost geben zu wollen. Aus der Erfahrung beider Rollen heraus lohnt der Versuch, zu erspüren, was gerade dem anderen gut tun könnte.
Nicht mit dem Satz: „Kenn ich, habe ich auch schon erlebt“ und dem passenden „Tipp“ dazu, sondern indem wir uns Zeit nehmen, eine Weile beim anderen bleiben, offen sind: Was ist passiert, welche Gefühle sind gerade ganz stark? Nicht mit dem Ziel, die Situation zu verändern, andere Gedanken/Gefühle zu wecken, sondern das Geschehene und die ausgelösten Emotionen wahr- und ernst zu nehmen.
Ein Beispiel kennen wir alle: Ein Kind fällt aufs Knie, es blutet und tut weh. Das Kind weint. Sie können das Kind, wenn Sie es gut kennen, in den Arm nehmen, ein bisschen wiegen und pusten.
Das Kind wird sich in wenigen Minuten beruhigen. Die Beule am Knie ist immer noch da, es blutet noch, das können wir nicht ungeschehen machen. Aber wir sind da, um das Kind zu halten, zu trösten, die Tränen zu trocknen und ein Pflaster zu holen.
Der Trost richtet sich an das Kind, das weint und erschüttert ist über das Blut und den Sturz, er richtet sich nicht auf den Sturz und die Beule. Ziel des Trostes ist der Mensch in seiner emotionalen Erschütterung.
Der Philosoph und Theologe Jean-Pierre Wils hat ein Buch über Trost geschrieben: „Warum wir Trost brauchen. Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“. Darin nennt er eine Metapher für den Trost. Trost sei wie ein Mantel, der das Geschehene nicht aus der Welt schaffe, aber den Leidenden für eine Weile wärmen könne.
Wenn wir ein Unglück nicht abändern können, hat Trost seinen Platz als ein Geschenk, eine Spende. Ganz ehrlich: So viele Situationen im Leben sind doch unabänderlich und Trost geben und Trost erhalten ist dringend nötig.
Entschleunigung hilft
Trost verlangt nach Verlangsamung. Mal schnell eine Runde trösten funktioniert nicht. Trost kann sich nur entfalten, wenn der Trostspendende sich einlässt und dem zu Tröstenden Zeit und Anteilnahme widmet. Zeit, um sich „einzu- schwingen“ auf die Gefühlslage und das Zeitmaß des zu Tröstenden.
Sie kennen das: Wenn was Schlimmes passiert, dann bleibt die Zeit stehen. Und um Trost spenden und empfangen zu können, müssen wir ruhig werden, ein gemeinsames Tempo finden. Das Leid bleibt bestehen, wird aber tragbar, aushaltbar durch das Mitfühlen und Dabeibleiben anderer.
Was trösten kann
Niemand ist verpflichtet, Trost anzubieten, niemand ist verpflichtet, Trost anzunehmen. Dennoch geschieht es zwischen Menschen als ein Akt des Sich-Öffnens und Sich-Anvertrauens, wenn man so will durch Hingabe an den Moment und das Gegenüber. Trost ist möglich, wenn es belastbare Beziehungsqualitäten gibt wie Respekt, Wertschätzung, Vertrauen, Offenheit, Aufrichtigkeit.
Unter dem Dach der TelefonSeelsorge geschieht häufig Tröstliches, egal ob am Telefon, in Mail oder Chat oder im unmittelbaren Gegenüber. Denn hier geht es oft nicht um Lösungen für Probleme, sondern um Kontakt. Es sind nicht die sichtbaren, handfesten Hilfen, die hier mehrheitlich greifen, sondern es ist eine Vertrauensbeziehung zwischen Personen, die sich Zeit, Zuneigung und Begegnung schenken.
Was trösten kann, ist nicht vorhersehbar oder übertragbar. Kleine Kinder können wir in den Arm nehmen, größere Menschen mögen vielleicht durch Zuwendung und Zuspruch Trost empfinden. Neben menschlicher Anteilnahme werden sehr unterschiedliche Dinge als tröstlich wahrgenommen: Natur, Bewegung, Musik, ein warmes Bad, Singen und vieles andere mehr.
Wichtig ist …
Wichtig ist, für den anderen da zu sein, nicht auszuweichen, nicht vorschnell eingreifen und verändern zu wollen, die Not, das geschehene Unglück nicht wegzureden.
Willi ist tot. Er wird nie wieder bei uns sein. Nie mehr. Die Lücke, die er hinterlässt, kann nicht geschlossen werden. Für seinen Platz unter uns und seinen Tod sind unsere Tränen wichtige Zeugnisse und sie müssen unbedingt geweint werden. So oft und so lange, wie wir das für nötig halten. Gottseidank gibt es Freundinnen und Freunde, denen es ähnlich geht. Wenn das nicht so wäre, müssten wir auf die Suche gehen nach Menschen oder Ritualen. Nach Ritualen, die zu trösten vermögen, weil sie einen bekannten, vertrauten Ablauf bereithalten, der Orientierung und Halt geben kann.
Trost als Geschenk
Es gibt keine Pflicht, zu trösten, kein Recht, getröstet zu werden. Trost wird geschenkt, gespendet als Zeichen der Anteilnahme, der Wertschätzung. Er wird angenommen als Zeichen der Öffnung und des Vertrauens. Es ist berührend und tröstlich, dass wir Menschen beides vermögen.
Rosemarie Schettler
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