Ausgabe 13 / April 2021

Blickpunkt

„Für dein Alter siehst du doch eigentlich noch ganz gut aus!“

Ausgabe 13 – April | Mai | Juni

30 Jahre lang habe ich Volleyball gespielt, in der Halle, auf Rasen, im Sand. Mit Leidenschaft bin ich dem Ball nachgejagt. Ich hatte das Glück, mich älter werdend technisch und auch sportlich weiter entwickeln zu können. Bis auf Kapselprellungen an den Fingern hatte ich nie ernsthafte Verletzungen. Nirgendwo war es leichter, in einen Flow zu kommen, als auf dem Spielfeld. Wenn der Ball flog und ich mich ihm baggernd, pritschend oder schmetternd entgegen warf, war ich glücklich.

Älter werdend hatte ich eine zunehmend gute Wahrnehmung für die Flugphasen des Balles und die vermutete Laufrichtung meiner Mitspielenden. Schnell war ich nicht, aber relativ sicher, fallen konnte ich gut, nur zum Aufstehen brauchte ich zunehmend mehr Zeit. Das war ärgerlich, aber naja….

Als ich meinen Volleyballfreunden mitteilte, dass ich ans Aufhören denke, bekam ich zu hören: „Wieso das denn? Du kannst doch noch ganz gut mithalten.“ – Da wusste ich, es ist allerhöchste Zeit zu gehen. Ich hatte es kommen sehen, verdrängt, mich überwiegend gut und stark gefühlt, obwohl alle Gleichaltrigen aus der Mannschaft schon lange verschwunden waren. Es ist mir schwergefallen, zu gehen. Und auch zweieinhalb Jahre nach Abschluss meiner aktiven Volleyball-Zeit habe ich Tränen in den Augen, wenn ich an „meiner“ Halle vorbeigehe oder an „meinem“ Beachfeld im alten Strandbad Wedau. Vor allem, wenn es ein Mittwochabend ist.

Es schmerzt, Dinge nicht mehr tun zu können, die so schön und erfüllend waren, Abschied zu nehmen von Fähigkeiten, Menschen, Formen des Wohlfühlens. Es ist eine stille Wehmut und sie wird mit den Jahren größer. Es scheint die Aufgabe des Älter – Werdens zu sein, zu akzeptieren, dass Kraft, Schönheit, Beweglichkeit und geistige Aufnahmekapazitäten endlich sind.

Alt sehen immer nur die anderen aus

Der Blick des gereiften Ich auf ein Foto des jüngeren Ich führt manchmal zu der Einsicht: „Ich sah doch ganz gut aus! Wieso habe ich das nie gemerkt?“

Eigentlich werden nur die anderen sichtbar älter, oder?  Man selbst erhält sich doch einen Rest Jugendlichkeit und Feuer in den Augen. Der eigene Blick in den Spiegel beweist es jeden Tag. Blöd nur, dass das auf Fotos, die andere von uns gemacht haben, nie so rüberkommt,

Reaktionen der anderen können schmerzlich sein und aufklären darüber, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Manchmal sind es Bemerkungen, die als Kompliment oder Fürsorge daherkommen und in Wirklichkeit wie ein Seitenhieb wirken: „Für dein Alter siehst du doch eigentlich noch ganz gut aus!“ oder „Ich hatte dich jünger in Erinnerung.“ „Was ist los? – Du siehst so abgekämpft aus!“ Neulich beim Spazierengehen traf ich eine Bekannte, die ich lange nicht mehr gesehen hatte Quer durch den Wald rief sie mir zu:  „Du hast dich aber gut gehalten!“ Das nervt!!

Manchmal ist es auch witzig. Eine Freundin erzählte, dass sie eine Reise in den Harz macht. Anlass: sie werde 60. Wir „Donnerwetter – das glaubt dir niemand!“ Sie augenzwinkernd: „Ich hatte gehofft, dass ihr das sagt!“

 

Rosemarie Schettler
hauptamtliche Mitarbeiterin der TelefonSeelsorge Duisburg Mülheim Oberhausen, Redaktionsmitglied

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