Ausgabe 3 / Dezember 2017

Blickpunkt

ZUHÖREN

Ausgabe 3 Dezember | Januar | Februar | März
Wer die TelefonSeelsorge anruft, sucht ein Gegenüber oder möchte Erlebtes mit jemandem teilen.

TelefonSeelsorgerinnen und TelefonSeelsorger kommen diesen Wünschen nach, indem sie vor allem eines tun: Zuhören.

Oberflächlich betrachtet mutet diese Tätigkeit eher passiv an, und doch kann sie etwas in Bewegung setzen. Während die einen über sich erzählen, übernehmen die anderen, denen diese Erzählungen anvertraut werden, Mit-Verantwortung für das Gehörte. Insofern bleibt das Zuhören nicht ohne Folgen für alle beide. Zuhören verwandelt. Um herauszufinden, was dieses Zuhören eigentlich ausmacht, lohnt es sich, die Ausdrücke und Redewendungen abzuklopfen, die das Instrument bzw. das ‚Organ‘ des (Zu-)Hörens beschreiben: „Jemandem sein Ohr leihen“, „Gehör schenken“, „ein offenes Ohr haben“; aber auch: „auf taube Ohren stoßen“, „die Ohren auf Durchzug stellen“. Offenbar meint Zuhören in erster Linie Kontakt aufnehmen, in Kontakt sein. Darüber hinaus setzt gutes Zuhören Empathie voraus, die Bereitschaft und Fähigkeit zuzulassen, dass die Sprechenden den Raum der Kommunikation vollständig ausfüllen, während die Zuhörenden dem Erzählten aufmerksam folgen. Für die Gesprächsführung erscheint dies als ein paradoxes Unterfangen, denn Führen und Folgen schließen sich eigentlich aus. Wer zuhört, ist bereit, sich für eine gewisse Zeit in eine andere Person hineinzuversetzen und eigene – gesicherte – Erfahrungshorizonte zu verlassen. Damit eröffnet er demjenigen, der spricht, die Möglichkeit, tief in sein Thema einzutauchen. Empathisches Zuhören beeinflusst, wie der andere sich mit sich selbst und seinem Anliegen beschäftigt, ohne dass wertend Einfluss auf die erzählte Geschichte genommen würde. Mit Sympathie oder Zustimmung hat dieser Prozess freilich noch nichts zu tun: Wenn wir mit einem anderen mitfühlen, also ähnlich fühlen wie er, bedeutet dies einfach nur, dass wir ihn verstehen. Zuhören und Verstehen meint eine besondere, intensive Form von Zuwendung zu einem Menschen, die Wertschätzung einer Person und ihres Problems.

Empathisches Zuhören bleibt für die Zuhörenden nicht folgenlos, es setzt auch auf ihrer Seite innerpsychische Vorgänge in Gang. Bei dem Versuch, diese zu beschreiben, ergibt sich erneut eine Paradoxie: Empathie oder Mitgefühl entstehen, indem die Zuhörenden sich berühren lassen. Zugleich jedoch wahren wir am Telefon Distanz zu den Emotionen der Sprechenden und führen wir das Gespräch. Bei der Beleuchtung dieser Prozesse kann der Begriff der Achtsamkeit hilfreich sein. Beim achtsamen Zuhören kommt es für die Zuhörenden darauf an, sich nicht nur das auf Gehörte zu konzentrieren, sondern auch die eigenen Empfindungen und Gefühle genau wahrzunehmen. Häufig erinnern nämlich die (Leidens-)Geschichten der Anrufenden uns an eigene (leidvolle) Erfahrungen, wodurch wiederum bei uns Erwartungen und Wünsche an das Gegenüber ausgelöst werden können. Solche Gegenübertragungen können die ungeteilte Zuwendung zum Sprechenden stören, durch bewusste Selbst-Wahrnehmung aber auch als Resonanzboden nutzbar gemacht werden. Der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh weist in seinem Buch „Achtsam sprechen, achtsam zuhören“ darauf hin, dass empathisches, achtsames Zuhören kathartisch wirken und so zur Überwindung von eigenem und fremden Leid beitragen kann. „Jedes Leiden, das wir nicht losgelassen und mit dem wir uns nicht versöhnt haben, werden wir weitertragen“, schreibt er. „Wenn wir uns [aber] dem Leiden zuwenden, ihm zuhören und es verstehen, werden Mitgefühl und Liebe geboren.“

 

Dr. Doris Behrens

Dr. Doris Behrens
Ehrenamtliche Mitarbeiterin der
TelefonSeelsorge Bochum

 

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