Ausgabe 8 / August 2019

Blickpunkt

GELD

Ach wenn ich dich nicht hätte …

Ausgabe 8 – August | September | Oktober | November 2019

Geld. Nicht viele Worte ziehen uns so in den Bann. Wir wollen Geld und Gut haben. Was wir haben, garantiert Einfluss und Macht, sagt Erich Fromm. Er hat im letzten Jahrhundert aus psychoanalytischer Sicht beschrieben, wie der Wunsch nach Besitz unseren Charakter formen und verformen kann. Dabei geht es nicht darum, dass wir Güter und Menschen zum Leben und zum Überleben brauchen, sondern darum, wie wir sie nutzen.

Fromm benennt zwei Existenzweisen: Haben und Sein.

Unsere Gesellschaft befindet sich im Haben-Modus. Der Einzelne will die Dinge nicht einfach haben, er hat das Habenwollen zu seinem Lebensprogramm und zur Maxime der Gesellschaft gemacht. Der Wunsch, etwas zu haben und zu behalten, wird zur Habgier. Wenn jeder an sich denkt, greift Egoismus um sich, der die eigenen Interessen oder die der eigenen Gruppe, des eigenen Landes allen anderen voranstellt.

Habenwollen führt zum Vergleichen mit den anderen und zum Streben, „besser“ zu sein. Das Horten von Geld, Gütern und Menschen führt zu zwanghaftem Verhalten. Was ich besitze, muss ich sichern. Die Angst vor dem Verlust und vor der Habgier der anderen bestimmt mein Leben. Ich kann versuchen, diese Angst zu bannen, indem ich die Kontrolle verstärke. Habe ich noch alles, was mir gehört? Ist das Haus abgeschlossen, das Licht abgedreht? Ich kann das Handy meiner Partnerin kontrollieren. Denn wenn sie mir gehört, ist sie mein Privateigentum, genauso wie mein Auto oder mein Fernseher. Privateigentum bedeutet, dass etwas nur mir gehört, dass dieser Besitz abgesondert ist von dem, was dem Staat oder der Allgemeinheit gehört. (‚Privare‘ hießt nicht nur ‚rauben‘, sondern auch ‚absondern‘.)

Die zwanghafte Charakterstruktur entsteht und bleibt erhalten, weil der Mensch nicht teilen und loslassen will. Er definiert sich über seinen Besitz. Man kann die psychoanalytische Theorie über die Entwicklungsphasen der Libido unbeachtet lassen und statt von ‚Charakter‘ von ‚Persönlichkeitsstilen‘ oder ‚Eigenschaften‘ sprechen, das Verlangen nach Besitz und seine Folgen sind unübersehbar. Wer in der Konsumentenhaltung verharrt, folgt dem Credo „ich bin, was ich habe und was ich konsumiere“. Im psychoanalytischen Bild Fromms hat er den Wunsch, die ganze Welt zu verschlingen, wie der Säugling, der nach der Flasche schreit. Alles kann zum Objekt der Begierde werden. Die Fixierung auf das Haben- und Besitzen Wollen blockiert unsere Selbstverwirklichung und führt dazu, dass wir unser Selbst über den Besitz definieren.

Wir haben Menschen und Gefühle, als besäßen wir Dinge und belegen sie mit besitzanzeigenden Fürwörtern. Wir reden von meiner Frau, meinem Mann, meinen Kindern, statt von aktiv gestalteten Beziehungen oder Gefühlen. Wer sagt schon: „die Frau mit der ich lebe – der Mann mit dem ich lebe…“ Wenn ich mich aber über ein Objekt, das mir zu gehören scheint, definiere, ein Objekt, das zerstört werden kann, dann habe ich letztlich nichts. Der zwanghafte Versuch, das Objekt festzuhalten, wird scheitern, auch wenn ich versuche, über meinen Besitz über den Tod hinaus zu bestimmen. Ich habe ihn und er hat mich. Damit werde ich so flüchtig wie mein Besitz. Alles Anklammern an ihn kann den Tod nicht verhindern.

Fromm stellt der Existenzweise des Habens die des Seins gegenüber.

Es geht nicht darum, dass man im Sein nichts besitzen dürfe. Denn wer danach strebt, nichts zu haben, hat ja auch etwas: den Stolz nichts zu besitzen. Solange Besitz funktional genutzt wird, also dazu, das Leben zu erhalten, sich selbst zu verwirklichen, ist der Mensch in der Existenzweise des Seins. Fromm verweist auf Gestalten der Religionsgeschichte, die zu einem neuen Leben aufgebrochen sind und das angestammte hinter sich gelassen haben. Individualismus, Selbstverwirklichung besteht im positiven Sinn in der Befreiung von gesellschaftlichen Fesseln und dem Finden des eigenen Lebenssinns.

Während das Haben den Sinn des Lebens in den Dingen sucht, sucht ihn das Sein in Erlebnissen, in einer inneren Aktivität, in der der Mensch wachsen, sich verströmen, lieben und das Gefängnis des eigenen Ich übersteigen will. Der Aufbruch zu sich selbst wird in vielen Mythen und Märchen beschrieben. Der Held braucht den Mut, voranzuschreiten und sich den inneren und äußeren Herausforderungen zu stellen, um zu tiefer Erkenntnis, reicher Erfahrung, Weisheit und Glück zu finden.

Wer etwas wagt, kann verlieren; wer zwanghaft am Besitz festhält, hat schon verloren. Jesus erzählt dazu ein Gleichnis. Ein König überantwortet Untergebenen jeweils eine unterschiedlich hohe, aber in jedem Fall beträchtliche Summe Geldes (Mt 25,14ff.;Lk 19,11ff.) Als er nach einiger Zeit das Geld und den erzielten Ertrag zurückfordert, hat einer das Geld ängstlich aufgehoben und gibt es so zurück, wie er es erhalten hat. Dafür wird er getadelt und ( bei Mt) bestraft.

Jesus wollte keine Anleitung zum Leben in einer Habenkultur geben.

Der Vergleichspunkt bei seinem Gleichnis ist das Verhalten derer, die Verantwortung bekommen. Nehmen sie die Herausforderung an und nutzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Ressourcen oder verharren sie aus Lebensangst mit dem Gut, das dann in ein ‚Schlecht‘ transformiert wird, weil sie sich und dem Leben nicht trauen?

Die Definition des Selbst über Besitz oder den Verlust dessen, was man zu besitzen gemeint hat, begegnet uns in der TelefonSeelsorge immer wieder. Nach der Trennung des Partners, der Kinder, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes sehen Anrufer ihre Existenz bedroht, weil sie etwas verloren haben, dessen sie sich sicher fühlten. Die TelefonSeelsorge hat keine volkspädagogische Aufgabe. Sie muss Anrufenden nicht die Vor- und Nachteile verschiedener Persönlichkeitsstrukturen erklären.

Ich denke, dass man mit der Theorie Erich Fromms zu einem intensiven empathischen Verstehen für das gelangen kann, was Anrufende als ihren Verlust so betrauern, als hätten sie ihr Leben verloren. Mit ressourcenorientierter Gesprächsführung lassen sich Elemente aus der Existenzweise des Seins in der Lebensgeschichte aufspüren. Dann kann TelefonSeelsorge wertschätzend und achtsam Anklänge an das Motiv des Helden anbieten. Der Verlust dessen, was die Anruferin oder der Anrufer meint, besessen zu haben, kann als Ruf verstanden werden, die Schwelle zu überschreiten und sich aufzumachen zu einem vertieften Selbst. Der Anrufende entscheidet, welche Bedeutung er den Ereignissen gibt.

 

Fritz Dechant
Leitung TelefonSeelsorge Weiden/Nordoberpfalz und Redaktionsmitglied von 24/7

Literatur
Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, in: Gesamtausgabe, Bd. II, dtv 1989
Friedrich Dechant: Am Telefon Helden begegnen in: Auf Draht 72, 34ff.

Ausführlicher Blick ins Heft:

Neu! – per Klick aufs Bild öffnet sich ein neues Fenster mit der Möglichkeit, in der Ausgabe zu blättern.