Blickpunkt: Humor
Humor in der Seelsorge – (wie) geht das?
von Ulf Steidel
Hat Humor in der TelefonSeelsorge überhaupt etwas zu suchen? Oder sollten wir ihn besser draußen lassen, bevor wir das Dienstzimmer betreten und uns dem Unglück und dem Leid betroffener Menschen stellen?
Meine Beobachtung: In der TelefonSeelsorge wird viel häufiger gelacht, als Außenstehende denken. Zum Glück – denn Humor ist in der Tat eine trotzige und kreative Weise der Lebensbewältigung. Das wissen jene, die sich in einer unveränderbaren Leiderfahrung haben einrichten müssen, oft besser als Nichtbetroffene. Hier erinnere ich mich an einen Geburtstagsbesuch einer alten Dame in einem Altenheim. Sie – seit Jahren immobil und ans Bett gefesselt – auf meine Frage, wie sie ihren Geburtstag verlebt und erlebt hat: „Es war ein berauschendes Fest in einem wunderschönen Ballsaal.“ Lacht und lädt mich ein, dies auch zu tun. Zum Thema Humor in der Seelsorge und Beratung sind zunächst Vorbehalte anzusprechen und Missverständnisse zu klären. Beim Folgenden wird es nicht darum gehen, das seelsorgerliche Methodenrepertoire im Schnellverfahren in Richtung Humor zu erweitern – schon gar nicht durch eine „Bestof- Witze-Sammlung“ für den Dienst am Telefon – wenngleich der eine oder andere Witz zur Veranschaulichung der Theorie herhalten wird. Niemals geht es in der humorvollen Perspektive darum, über andere zu lachen. Vielmehr geht es um Hilfestellungen und Anregungen für die Anrufenden, über sich selbst lachen zu können. Geradezu unerlässlich ist hier die „Nagelprobe des Humors“ in seiner Auswirkung auf das persönliche und gemeinsame Agieren und Lernen in der TelefonSeelsorge: Kann ich als Seelsorgerin und Seelsorger über mich lachen, meine eigenen Eitelkeiten, Widersprüchlichkeiten, Schwächen und Grenzen?
Hinzu kommt, dass selbst dort, wo die Komik als Trost dient, Grenzen zu achten sind. Peter L. Berger hält dazu in seiner Abhandlung zum Komischen in der menschlichen Erfahrung („Erlösendes Lachen“) Folgendes fest: „Es gibt Schrecken, vor denen die bestgemeinten Versuche komischer Tröstung versagen müssen … Es gibt Anlässe, bei denen niemand lachen kann oder lachen sollte, Gelegenheiten, da die Tränen zu bitter sind.“
Vor einigen Anregungen zur humorvollen Praxis in der Seelsorge und Beratung soll zunächst ein theoretischer – ich hoffe aber nicht humorloser – Streifzug durch den Humor bzw. das Komische in der menschlichen Erfahrung stehen. Vieles davon verdanke ich neben Peter L. Berger dem Wuppertaler Theologen Peter Bukowski und seiner kleinen „Animation“ zum „Humor in der Seelsorge“.
Humor als Lebensweise oder eine kleine Phänomenologie des Humors
Auf die immer wieder gern gestellte Frage, ob unsere humorvolle Ader genetisch vorprogrammiert ist, oder ob sich Humor lernen und entwickeln lässt, antwortet Bukowski mit einem sowohl-als-auch: Humor habe etwas von einer Gabe und einem Charisma, dennoch ließe sich bei jedem und jeder das Wachstum fördern. Der Humor würde einem nicht abschließend mit dem Gen-Paket in die Wiege gelegt, sondern sei in der „Schule des Lebens“ zu entwickeln.
Humor als lachender Widerstand
Bukowski definiert Humor „als die Fähigkeit, sich von den Widrigkeiten des Lebens nicht verschlingen zu lassen, vielmehr lachend zu ihnen auf Distanz zu gehen und sie so zu relativieren.“ Vor diesem Hintergrund ist auch das Wesen des Clowns zu verstehen – der klassischen Figur des lachenden Widerstandes. Der Wiener Psychotherapeut Alfred Kirchmayr führt
zur Figur des Clowns aus: Das Wesen des Clowns sei die Lust am Scheitern. Gegen die herrschende Lust am Erfolg erinnere der Clown an eine seelsorgerliche Binsenweisheit. Die stärksten Entwicklungsimpulse im Leben gingen von bewältigten Krisen aus. Scheitern ist eine Quelle der Kraft zum Neubeginn. Wer wollte dies gerade auch aus telefonseelsorgerlicher Perspektive nicht unterschreiben? Ein Schlussbild Kirchmayrs zum Clown: Der innere Clown betracht die schmerzlichen Dinge des Lebens wie durch ein umgekehrtes Fernrohr und gewinnt dadurch eine heilsame Distanz.
Nicht vorenthalten möchte ich Ihnen an dieser Stelle einen Witz aus seiner therapeutischen Praxis. Kirchmayr erinnert daran, Witze sind wie Clownnummern – Probleme zum Lachen: Zwei Verrückte flüchten aus der Klinik und laufen auf den Eisenbahnschienen entlang. Da sieht der eine kurz nach hinten und sagt: „Hinter uns kommt ein Zug!“ „Dann müssen wir das Gepäck wegwerfen und schneller laufen!“ So geschieht es. Der eine blickt nochmals nach hinten und sagt: „Der Zug ist schon ganz knapp hinter uns!“ Sagt der andere: „Wenn nicht sofort eine Weiche kommt, sind wir verloren.“
Humor als lachende Weisheit
Diese Art des Humors erlaubt mir eine Distanz zu der mich umgebenden Welt mit ihren vermeintlichen Unumstößlichkeiten, ihren Gesetzmäßigkeiten und Zwängen. Im Großen entdeckt er das Erbärmliche, im Kleinen das Erhabene, im Heiligen das Menschliche, im Menschlichen das allzu Menschliche. Entlarven lassen sich auf diesem Weg Ungerechtigkeit, Doppelmoral und Selbstgefälligkeit und – das ist der Clou, der uns das Lachen im Halse festhält – meine persönlichen Verwicklungen in all diese eher unvorteilhaften Haltungen. Wie funktioniert Humor eigentlich? Auf eine Kurzformel gebracht – das Komische hat immer mit Widersprüchlichkeit und Absurdität zu tun: groß – klein, Schein – Sein, Reden – Verhalten, Vordergrund – Hintergrund. Unvergleichlich ist dieser spielerische Umgang mit der Widersprüchlichkeit in den Maus- Elefanten-Witzen festgehalten: „Sie wollen wirklich heiraten?“ fragt der Standesbeamte den Elefanten und die Maus. „Was heißt hier wollen“, sagt der Elefant, „wir müssen.“
Humor als Trost – die Tragikomik
(Einige Gedanken zum jüdischen Humor:) Berger definiert das Tragikomische als das, was Lachen unter Tränen weckt. Wie in der Clownsfigur löscht es realen Kummer, reale Traurigkeit nicht aus, aber es macht diese Emotionen erträglicher. Die Wurzeln der Tragikomik sieht Berger in der jüdischen Kultur Osteuropas und seiner jiddischen Ausformung. Beispielhaft verdichtet und verkörpert
in der bedeutendsten Figur der jiddischen Literatur – Scholem Alejchem (1859 – 1916), bekannt durch seine Geschichten von Tewje, dem Milchhändler. Ein Beispiel seiner Haltung. Mal wieder bekommt Tewje eine Reihe von Hiobsbotschaften zu hören, worauf er antwortet: Wisst ihr was, Pane? Wollen wir doch besser von etwas Lustigerem reden. Was hört man Neues von der Cholera in Odessa? Berger fasst zusammen: „Die jiddische Literatur hat … ein Gefühl für komische Widersprüchlichkeit ausgebildet, das … Seinesgleichen sucht. Der Widerspruch klaffte zwischen der grandiosen Bestimmung des jüdischen Volkes, wie sie die Religion lehrte, und den elenden Zuständen, in denen die Juden in der wirklichen Welt Osteuropas lebten.“ Oder mit einer prägnanten Formulierung der Psychologin und Philosophin Salcia Landmann, die sich wie keine andere um die Sammlung jüdischer Witze verdient gemacht hat. Der jüdische Witz sei eine besondere Form, mit der eigenen Wehrlosigkeit fertig zu werden. „Je strenger die Anforderungen, je schärfer der Druck, je geringer dabei die Möglichkeiten, sich durch befreiende Taten zu wehren, desto mehr und desto tiefere Witze werden entstehen.“ Unverblümt und deftig wird auch mit Gott über den erbärmlichen Zustand seiner Schöpfung gewitzelt und gestritten: Ein Ingenieur kommt in ein galizisches Städtchen, bestellt beim jüdischen Schneider dort eine Hose; die Hose wird nicht rechtzeitig fertig und der Ingenieur fährt weg. Jahre später kommt er wieder hin – da bringt der Schneider die Hose. Ingenieur: „Der liebe Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen – und Ihr braucht sieben Jahre für eine Hose!“ Schneider, indem er zärtlich über die Hose hin streicht: „Ja – aber schaut Euch an die Welt – und schaut Euch an diese Hose!“
Humor als Form der Seelsorge
Den Rahmen für eine humorvolle Praxis in der Seelsorge und Beratung bietet der eingangs erwähnte Wuppertaler Theologe Peter Bukowski mit seiner Idee, hierfür das Kommunikationsmodell des „Inneren Teams“ von Friedemann Schulz von Thun fruchtbar zu machen. Bei diesem Persönlichkeitsund Kommunikationsmodell geht es um die zwei oder mehr Seelen in unserer Brust, es geht um innere Pluralität und Vielstimmigkeit. Dem mutmaßlich einfühlsamen und geduldigen Seelsorger stellt Bukowski ein sogenanntes „Inneres Humorteam“ mit vier Teamplayern zur Seite: die Humorvolle, die Pfiffige, den Sunnyboy und den „Prolo“.
Im Einzelnen: Die „Humorvolle“ beherrscht die hohe Kunst, sich nicht lustig zu machen und dennoch einen Blick für die komische Seite dessen zu behalten, was der andere als Qual und Pein erlebt. Als die sogenannte „Fromme“ im Team glaubt die Humorvolle vom Gegenüber und für das Gegenüber: Was immer dieses Geschöpf sein, wie immer es ihm gerade ergehen oder es sich fühlen mag, es ist auch dies: ein von Gott ins Leben gerufenes Wesen, gewollt und wertgeschätzt, begabt und begleitet, mit reichen Möglichkeiten ausgestattet – trotz aller abgründigen und dunklen Seiten.
Die „Pfiffige“ beherrscht den Königsweg des Humors: das Reframing = die Umdeutung. Es gelingt ihr, das, was problematisch ist, in einen anderen und neuen Bezugsrahmen zu stellen. Getreu dem Motto: „Es gibt nichts, das an sich gut oder schlecht wäre, nur das Denken macht es so.“ In der Regel ist ein guter Witz eine solche gelungene Umdeutung. Ein klassisches Beispiel: Ein Alt- 68er und Hippiefreund – mit nur einem Schuh unterwegs – trifft einen Bekannten. Der zu ihm: „Hör mal, hast du schon gemerkt, dass du einen Schuh verloren hast?“ „Was heißt hier verloren. Den habe ich gefunden.“ Der „Sunnyboy“ im Team schätzt und genießt als sogenannter „Vertreter der Leichtigkeit“ den Smalltalk als möglichen Anfang einer tieferen Beziehung. Pate steht hier von der Seelsorgetheorie her der Bonner Theologe E. Hauschildt, der in den letzten Jahren die Alltagsseelsorge für die Seelsorge entdeckt und fruchtbar gemacht hat. Der Gesprächspartner sei doch nicht nur mit einer – wie auch immer gearteten – Problematik für mich interessant, sondern mit allem, was ihn interessiert, umtreibt und bewegt.
Der „Prolo“ sagt, was Sache ist. Die Theorie und Praxis hierzu liefert Frank Farrelly mit seiner „Provokativen Therapie“. Wenn Klienten eingeladen werden, über ihre Torheiten und Absurditäten zu lachen, dann geschieht dies – so Farrelly – unter zwei Voraussetzungen: Der Klient muss die Ironie verstehen und auf sich selbst anwenden können. Er wird nicht als Person in Frage gestellt, sondern in der Erfahrung grundsätzlicher personaler Akzeptanz spürt er, dass nur bestimmte Verhaltensweisen oder destruktive Arten des Denkens ironisiert werden, um sich von ihnen distanzieren und sie damit ablegen zu können.
Die humorvolle Provokation muss der Therapeut auch und in erster Linie an sich selbst vollziehen und als Modell zeigen können. Farrelly versteht seine Interventionen als Hilfen zu „konstruktivem Ärger“, er will Personen anpieksen, nicht verletzen. Eleonore Höfner und Hans-Ulrich Schachtner haben Farrellys Einsichten für den deutschen Sprachraum durchbuchstabiert („Das wäre doch gelacht! Humor und Provokation in der Therapie“). Sie tragen zahlreiche Bausteine, Werkzeuge und Fallbeispiele für die humorvolle Beratung und Seelsorge zusammen und geben gleichwohl immer wieder zu bedenken: Die provokativen Interventionen würden zu scharfen und bösartigen Waffen, wenn sie lieblos und mechanisch eingesetzt würden und die Seelsorge und Beratung im Vorfeld nicht für eine vertrauensvolle Beziehung und einen „guten Draht“ gesorgt hätte. Nun habe ich einen weiten Bogen gespannt, mehr Hintergrund und Theorie geliefert, als schnell umzusetzende praktische Tipps. Schließen möchte ich mit einigen nachdenklichen Fragen und einer mit ihnen verbundenen Anregung zur Selbstwahrnehmung, die ich zu wichtigen Themen des Lebens und der Seelsorge immer wieder in den Tagebüchern Max Frischs finde.
Sein kleiner Katalog von Fragen zum Humor lautet:
Wie meinen Sie im Humor zu sein:
a. versöhnlich?
b. frei von Ehrgeiz?
c. angstlos?
d. unabhängig von Moral?
e. sich selbst überlegen?
f. kühner als sonst?
g. frei von Selbstmitleid?
h. aufrichtiger als sonst?
i. lebensdankbar?
Ulf Steidel,
Leiter der TelefonSeelsorge Düsseldorf
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